Töchter von Frauen, die zur Prostitution gezwungen sind, leben in besonderer Gefahr. In Hyderabad möchte Chaithanya Mahila Mandali diesen Mädchen ein besseres Leben bieten und plant gerade ein neues Haus am Stadtrand – mit Platz für 200 Kinder.
Prasanna* lebt alleine mit ihrer Mutter Laxmi* in einem zusammengezimmerten Verschlag. Das Bett, das sich die 12-Jährige und ihre zierliche Mutter teilen, ist aus ein paar Metallstangen und über Kreuz verwobenen Kunststoffbändern gebaut. Allein darauf zu sitzen, erfordert schon einiges an Balance. Im faden, kühlen Licht einer Energiesparlampe sind einige Töpfe und ein paar persönliche Gegenstände zu sehen. Auf die Frage nach ihrer Arbeit und ihrem Lebensunterhalt antwortet Laxmi ausweichend. Sie sammle Müll, sagt sie mit leiser Stimme. 50 bis 100 Indische Rupien (0,60 – 1,20 Euro) verdiene sie am Tag.
Als wir die Hütte verlassen, erfahre ich, warum Laxmi so zögerlich geantwortet hat. „Die meisten Frauen hier im Slum sind gezwungen, in der Prostitution zu arbeiten. Und viele wollen das vor den Kindern nicht zugeben“, erklärt Jayamma Bandari, die früher selbst von ihrem Mann zur Prostitution gezwungen wurde und heute mit ihrer Organisation Chaithanya Mahila Mandali (CMM) betroffenen Frauen in der Prostitution und deren Kindern hilft.
Prasanna und ihre Mutter leben in Singareni Colony, einem Slum am Rand von Hyderabad. Was früher Brachland war, ist heute von rund 30.000 Familien besetzt. Aus Wellblechresten, Holzbalken, Plastikplanen, Decken und weiteren Fundstücken wurden Behausungen gezimmert. Wo ein Verschlag aufhört und wo die nächste Hütte anfängt, ist schwer zu erkennen. Es stinkt nach Kloake. Es gibt keine Kanalisation, ausgemergelte Hunde wühlen in Müllbergen, Heerscharen von Moskitos schwirren durch die Luft. Hier hausen die Menschen, weil sie nirgendwo anders hin können. In vielen Hütten leben alleinstehende Frauen mit einem oder mehreren Kindern. Die Männer sind gestorben oder abgehauen.
Als Prasannas Vater starb, war sie ein Kleinkind. Er war – wie so oft sturzbetrunken – auf eine Straße gelaufen und von einem Laster erfasst worden. Ihre Mutter ist nie zur Schule gegangen und wurde bereits kurz nach ihrer ersten Menstruation mit Prasanna schwanger. In kurzen Abständen folgten zwei Söhne. Als ihr Mann starb, hatte Laxmi schon keine Eltern mehr und auch sonst niemanden, der helfen konnte. So landete sie mit den drei Kindern im Slum. Die Jungs leben in einem staatlichen Jungenhaus und Laxmi macht sich zunehmend Sorgen um ihre Tochter: „Wenn ich aus dem Haus bin, ist Prasanna ganz allein hier.“
Die Kriminalitätsrate im Slum ist hoch, sexuelle Übergriffe sind an der Tagesordnung. Die Menschen trinken viel, meist Guramba, einen billigen, vor allem lokal in Slums hergestellten Schnaps, der wie Spiritus riecht und schlimmer als viele Drogen sein soll. Auf die Frage, wie viele Menschen hier ein Alkoholproblem haben, sagt Jaya Singh Thomas, der Direktor von CMM: „Alle!“
Ebenso wie viele andere Mütter aus dem Slum hätte Laxmi ihre Tochter gerne im Chaithanya Happy Home – einem Kinderhaus speziell für Mädchen von Müttern in der Prostitution – untergebracht. „Diese Mädchen sind besonderen Risiken ausgesetzt“, sagt Jayamma. Nicht selten werden sie vom Freier der Mutter ebenfalls zur Prostitution gezwungen oder von den Eltern jung verheiratet, um vermeintlich in Sicherheit gebracht zu werden. „Wir wollen verhindern, dass auch die nächste Generation im Rotlichtmilieu landet“, sagt Jayamma.
Im Happy Home leben die Kinder in Sicherheit, werden liebevoll betreut und bei ihrem Schulbesuch und ihrer Ausbildung unterstützt. Doch das aktuelle Haus platzt mit 42 Mädchen und einem Jungen aus allen Nähten. Jeder freie Fleck in der ersten Etage ist mit Stockbetten vollgestellt. Wenn alle ihre Hefte für die Hausarbeiten ausbreiten, ist der Boden im Gemeinschaftsraum oder die Terrasse voll.
Bisher unterstützt CMM Prasanna und Hunderte andere Mädchen aus dem Slum beim Schulbesuch. Die Kinder bekommen Hefte, Stifte, Taschen und werden nachmittags in sieben Nachhilfezentren betreut. Das sind schlichte Wellblechhütten, doch hier bieten jeweils zwei Nachhilfelehrer Unterstützung, die gar nicht hoch genug geschätzt werden kann. „Die meisten Erwachsenen im Viertel sind nur kurz oder gar nicht zur Schule gegangen und können bei den Hausaufgaben nicht helfen“, erklärt Jaya.
Wenn die Kinder ohne die Aufgaben in die Schule kämen, würden sie dort bestraft. „Und irgendwann gehen sie einfach nicht mehr hin.“ Wenn man die Kinder im Nachhilfezentrum fragt, was sie einmal werden möchten, antworten überraschend viele mit „Polizist“ oder „Polizistin“. Auch Prasanna. „Alle Jungs hier im Viertel rauchen und trinken, das ist sehr schlimm geworden“, erklärt die 12-Jährige. Sie will diese Entwicklung aufhalten und den Verkauf von Guramba und anderen Drogen im Slum stoppen. Ein kleiner Junge, der auch Polizist werden möchte, sagt: „Ich möchte die Mädchen beschützen.“ Was er schon alles erlebt hat, haben wir nicht erfahren.
* Namen geändert