Nepalesische Frauen im Ausland – billige und willkommene Arbeitskräfte
Sie haben keine Perspektive in Nepal und wollen im Ausland ihr Glück suchen. Nepalesische Frauen reisen nach Indien und in die Golfstaaten, um zu arbeiten. Dort werden viele Opfer von Gewalt, Ausbeutung und sexuellem Missbrauch. Maiti Nepal klärt die Frauen über die Gefahren auf.
Shemnala war gutgläubig. Eines Tages kam ein Mann in ihr Dorf und versprach der Witwe einen Job als Haushaltshilfe in Indien: 200.000 bis 300.000 Nepalesische Rupien könnte sie da im Jahr verdienen. Shemnala nahm ihren elfjährigen Sohn und folgte dem Mann, der sie zu einem wohlhabenden Ehepaar in einer indischen Kleinstadt brachte. In die Hölle.
Von 3 bis 23 Uhr musste Shemnala im Haus arbeiten – und nachts als Sexsklavin des Hausherren. „Er hat mich wie ein Tier behandelt“, beschreibt Shemnala die Zeit. Sie kann die Nächte nicht zählen, in denen der Mann an ihre Tür klopfte, zu ihr ins Zimmer kam und sie missbrauchte. Oder sein Sohn. Oder sein Vater. Oder seine Freunde.
Sie konnte weder schreiben noch lesen und erst recht kein Englisch, sie kannte niemanden in diesem ihr fremden Land, den sie um Hilfe bitten konnte. Eines Abends fand in dem Haus ihres Peinigers eine Feier statt, auf der zwei Nepalesen zu Gast waren. Diese erkannten die Situation und verständigten die Polizei, die wiederum Maiti Nepal informierte. Zehn Monate nach ihrer Ankunft in Indien konnten Shemnala und ihr Sohn befreit werden.
Einen Monat nach der Befreiung lebt Shemnala mit ihrem Sohn im Zentrum von Maiti Nepal in Kathmandu. Sie kann inzwischen ein paar Worte schreiben, hat rechnen gelernt und nähen. Während sie ihre Geschichte erzählt, ruhen ihre Hände auf der Nähmaschine, an der sie bis eben noch arbeitete. Sie blickt ihr Gegenüber offen aus ihren warmen grünen Augen an, wirkt selbstbewusst. „Ich habe großes Glück gehabt, dass ich zu Maiti Nepal gekommen bin.“
Seit einigen Jahren gibt es zunehmend Fälle wie Shemnalas. „Heute ist der Menschenhandel eng mit der Arbeitsmigration verbunden“, sagt Bishwo Khadka, Direktor von Maiti Nepal. Nach seinen Angaben verlassen jeden Tag mehr als 1.600 Menschen das Land. Gründe für die Migration sind die politische Instabilität, die schlechte wirtschaftliche Lage und mangelnde Perspektiven. Das Jahreseinkommen pro Kopf beträgt etwa 700 US-Dollar, die Arbeitslosenrate liegt bei ca. 46 Prozent und so verwundert es nicht, dass ein Drittel der arbeitsfähigen nepalesischen Bevölkerung im Ausland lebt. Mit den Überweisungen an ihre Familien tragen sie mit fast 25 Prozent zum Bruttoinlandsprodukt Nepals bei. Allein 2012 verließen laut Nepals Ministerium für Auslandsarbeit rund eine halbe Million Männer und Frauen das Land. Katar, Malaysia, Saudi-Arabien, die Vereinigten Arabischen Emirate und Kuwait sind offiziell die häufigsten Ziele der Arbeitsmigranten. Die vielen Nepalesen, die in Indien als Fahrer oder Hausangestellte arbeiten, sind in diesen Statistiken jedoch nicht enthalten. Von den Frauen, die in Indien zur Prostitution gezwungen werden, ganz zu schweigen. Die Grenzen zwischen Nepal und Indien sind offen, die Arbeitsmigration ins Nachbarland wurde bislang nicht genau dokumentiert.
Doch für viele Nepalesen ist die Arbeit im Ausland die Hölle, gerade in arabischen Ländern. Männer werden auf dem Bau ausgebeutet, Frauen sexuell missbraucht. „Wir haben sehr viele Fälle von Mädchen, die geschwängert und dann weggeschickt wurden. Manche wurden geschlagen, missbraucht, haben Narben am ganzen Körper, von Stöcken oder Bügeleisen“, sagt Bishwo Khadka. Jeden Tag kehren vier bis fünf Menschen tot nach Nepal zurück. „Aber die Regierung kümmert sich immer noch nicht darum, wie die Arbeiter im Ausland besser geschützt werden können“, kritisiert Bishwo Khadka. „Wir setzen uns gerade sehr dafür ein, dass mehr für die Arbeitsmigranten getan wird. Vor allem für die Frauen im Ausland, die psychisch, körperlich oder sexuell missbraucht werden.“
Maiti Nepal hat das Problem der unsicheren Migration von jungen Frauen schon früh erkannt und gehandelt. „Die Frauen müssen aufgeklärt werden und sich über die Risiken, die mit einem Aufenthalt im Ausland verbunden sind, im Klaren sein“, so der Direktor. Daher hat die Organisation nun auch am internationalen Flughafen in Kathmandu einen Informationsstand eingerichtet. Jede Frau, die über den Luftweg ausreisen will, wird automatisch an den Stand von Maiti Nepal geschickt.
Information und Aufklärung soll verhindern, dass Mädchen und junge Frauen auf falsche Versprechungen von Schleppern oder vermeintlichen Arbeitsvermittlern hereinfallen. Zusammen mit Rechtsanwälten, Sozialarbeitern, Journalisten, örtlichen Politikern und der Polizei betreibt Maiti Nepal vor allem in entlegenen Gegenden Nepals gezielte Aufklärungsarbeit in Schulen. Inzwischen arbeitet die Organisation auch mit Plakaten und Flyern, die Mädchen und Frauen speziell auf die Gefahren für Arbeitsmigrantinnen hinweisen. „Wir sagen: Sucht euch eine seriöse Vermittlungsagentur, lernt Englisch, lernt die Arbeit, die ihr ausführen wollt, und informiert euch über ein angemessenes Gehalt“, sagt Bishwo Khadka.
Shemnala hatte davon gehört, dass Mädchen nach Indien verschleppt werden. „Aber ich hatte nie gedacht, dass mir das passieren könnte“, sagt die 32-Jährige, die inzwischen einen genauen Plan für ihre Zukunft hat. Sie möchte in ihr Dorf zurückkehren und dort eine kleine Schneiderei eröffnen. „Ich möchte meinem Sohn ermöglichen, zur Schule zu gehen“, sagt die Frau, die Maiti Nepal sehr dankbar ist: „Ich habe schon viel gelernt. Jetzt kann ich auf eigenen Füßen stehen.“ Und das bedeutet für sie auch, anderen Frauen und Mädchen ihre Geschichte zu erzählen. Damit diese nicht auch zu gutgläubig auf einen Schlepper hereinfallen.
Simone Utler, Freie Journalistin