Das Problem des Menschenhandels muss an den Wurzeln bekämpft werden. Nach diesem Grundsatz gehen die Mitarbeiter von Maiti Nepal in die abgelegenen Dörfer Nepals und suchen gezielt nach gefährdeten jungen Frauen, denen mithilfe eines Berufsausbildungs- und Mikrokreditprogramms ermöglicht wird, ihre Familien zu unterstützen. Aus den Mädchen werden nach wenigen Monaten nicht nur junge Unternehmerinnen, sondern auch wichtige Multiplikatoren, die aktiv und entschlossen in ihren Dörfern gegen den Menschenhandel vorgehen.
„Ist ein Mädchen erst einmal im Bordell, ist seine Seele zerstört.
Daher müssen wir handeln, bevor es zu spät ist.“
Anuradha Koirala, Gründerin von Maiti Nepal
In Hatiya, einem kleinen Dorf im Bergland von Nepal, lebt Ranju zusammen mit ihrer Familie. Obwohl nur einige hundert Menschen dort leben, herrscht bereits am frühen Morgen reges Treiben. Bauern treiben ihre Kühe auf die steilen Wiesen der umliegenden Berghänge, Frauen arbeiten in den Feldern, Schafherden drängen durch die engen Gassen und schwer beladene Esel tragen Lebensmittel in die höher gelegenen Bergregionen. In ihrem kleinen Schneiderladen, gleich hinter dem Marktplatz, sitzt die 17-jährige Ranju und näht. Sie hat ihr Geschäft erst kürzlich eröffnet und freut sich daher sehr über die rege Nachfrage. Außer ihrem, gibt es keinen anderen Schneiderladen in Hatiya, und so kommen Tag für Tag neue Kunden zu ihr. Die junge Frau ist dankbar, dass sie mit ihrer Arbeit ihre Eltern und sieben Geschwister unterstützen kann. Für viele Eltern ist das Überleben eine tagtägliche Herausforderung und viele sehen sich gezwungen, ihre Kinder in die Stadt zum Arbeiten zu schicken.
»Viele Kinder laufen Gefahr, Opfer von Menschenhändlern zu werden«, vermutet Ranju. Sie hat selbst miterlebt, wie Schlepper nach Hatiya kamen, um Arbeitskräfte für ihre Fabriken in Kathmandu zu finden. Selbst ihre beste Freundin haben sie vor knapp zwei Jahren mitgenommen. Bis heute hat die Familie nie wieder etwas von dem Mädchen gehört und befürchtet das Schlimmste. Es sind vor allem die armen Familien, die zu den Hauptzielgruppen der Menschenhändler gehören. Die Schlepper ziehen durch die Dörfer und locken mit attraktiven Arbeitsplätzen in Indien, den Golfstaaten oder Südostasien. Eine großzügige Vorauszahlung verleitet viele Eltern zu der Annahme, dass die Besucher aus der Stadt es ernst meinen und ihre Tochter schon bald ein gutes Gehalt bekäme. Doch die wohlklingenden Arbeitsangebote in internationalen Hotels, Restaurants oder als Hausmädchen in einer reichen Geschäftsfamilie sind nur Köder. In Wirklichkeit landen viele der Mädchen in der Prostitution und sind für immer verloren.
Ranju hatte Glück, dass die Schlepper nie zu ihrer Familie kamen, bevor sie Mana Lama kennenlernte, eine junge Mitarbeiterin des Prevention Homes von Maiti Nepal in Hetauda. Mana Lama suchte in Hatiya und anderen Dörfern der Region gezielt nach Familien, deren Töchter gefährdet sind, von den Menschenhändlern entdeckt zu werden. So saß sie auch vor dem Haus von Ranju, sprach mit ihrem Vater und bot der Familie für Ranju einen Platz im sechsmonatigen Ausbildungs- und Aufklärungsprogramm von Maiti Nepal an.
Mittlerweile ist ein Jahr vergangen und Ranju denkt gerne an die Zeit im Prevention Home zurück. Gemeinsam mit 25 anderen Mädchen wohnte sie ein halbes Jahr in dem kleinen Zentrum in Hetauda und lernte nicht nur das Nähen, sondern wurde auch in Lesen und Schreiben sowie im Aufbau und Leiten eines eigenen Geschäfts weitergebildet. »Die Hausmutter und auch die Lehrer waren sehr nett und haben uns viel beigebracht«, erinnert sich Ranju. »Sie haben uns viel über die Machenschaften der Schlepper und die Gefahren des Menschenhandels erzählt.« Heute weiß die junge Frau Bescheid über den Menschenhandel, ihre Rechte als Frau, HIV/AIDS und andere Krankheiten sowie über Hygiene und Gesundheit.
Das Prevention Home in Hetauda ist eines von drei Zentren in Nepal, das 20 – 30 jungen Frauen für einen Zeitraum von sechs Monaten ein berufliches Ausbildungsprogramm ermöglicht und sie über Menschenhandel aufklärt. Nach einem halben Jahr gehen die jungen Frauen gestärkt in ihr Dorf zurück und können wie Ranju auch mithilfe eines Mikrokredits beispielsweise eine Nähmaschine kaufen und ihr eigenes Geschäft eröffnen. Die meisten sind entschlossen, aktiv gegen den Menschenhandel vorzugehen und ihr Wissen über die Gefahren an ihre Freundinnen im Dorf weiterzugeben. Auf diese Weise weitet sich der Kreis der Aktivisten im Kampf gegen Mädchenverschleppung und Zwangsprostitution nach und nach aus und immer mehr junge Nepalesinnen erfahren auch in den abgelegenen Winkeln des Landes über die scheinbar verheißungsvollen Jobangebote der Schlepper.
Bis heute konnten über 800 Mädchen an den Ausbildungsprogrammen von Maiti Nepal teilnehmen, die für Anuradha Koirala, die Gründerin und Leiterin von Maiti Nepal, eines der effektivsten Mittel im Kampf gegen den Menschenhandel sind. »Ist ein Mädchen erst einmal im Bordell, ist seine Seele zerstört. Daher müssen wir handeln, bevor es zu spät ist.«