Wann darf ich endlich zu meiner Tochter?

Schicksal und Mut einer jungen Bangladeschi

Beim Projektbesuch der Rescue Foundation im Frühjahr 2015 treffen wir die 21-jährige Nargis. Sie ist eine der 500 jungen Frauen, die nach ihrer Rettung aus der Prostitution in den Schutzzentren der Organisation leben. Nargis hat ihr Schicksal mit uns geteilt. Eine bewegende Geschichte einer mutigen jungen Frau.

Nargis kommt aus Bangladesch und lebt bereits seit zwei Jahren bei der Rescue Foundation. Geduldig wartet sie darauf, bald in ihr Heimatland zurückkehren zu dürfen. „Die Rückführung von jungen Frauen und Kindern nach Bangladesch ist ein aufwändiger, bürokratischer und langwieriger Prozess“, schildert Triveni Acharya, die Leiterin der Rescue Foundation. Es scheint so, als habe man kein Interesse daran, die Frauen und Kinder, die einst prostituiert wurden, in ihrer Heimat wieder aufzunehmen.

Sorge um Mutter und Tochter
Nargis ist bedrückt. Jeden Samstag telefoniert sie mit ihrer Mutter und ihrer kleinen Tochter in Bangladesch, so auch an dem Tag unserer Begegnung. Die Mutter ist schwer krank und hat einen Tumor im Bauch, der ihr große Schmerzen bereitet. Ihr Gesundheitszustand hat sich in den letzten Wochen massiv verschlechtert, so dass sie gezwungen ist, mit dem Kind auf der Straße zu betteln, um zu überleben. „Ich bin traurig, weil ich nicht bei meiner Familie sein kann. Ich habe hier jeden Tag genügend zu essen, während meine Tochter hungert und meine Mutter Schmerzen hat.“ Für die junge Frau ist das ewige Warten auf die Rückreise nach Bangladesch schier unerträglich. Doch sie weiß, dass Triveni Acharya und ihr Team alles dafür tun, dass sie bald wieder nach Hause gehen darf.

Vom Ehemann verkauft
Die Armut war der Grund, der Nargis den Weg in die Zwangsprostitution bahnte. Die Mutter brauchte dringend medizinische Hilfe und so entschloss sich die im siebten Monat schwangere Nargis, mit ihrem Mann nach Indien zu gehen, um Geld für die Familie zu verdienen. Ihre fünfjährige Tochter hat das Paar bei der Mutter zurückgelassen.
In Indien wird die nichts ahnende Nargis von ihrem Ehemann zu einem Vermittler gebracht. Der Ehemann kassiert Geld und verschwindet. Für Nargis bricht eine Welt zusammen. Doch das Schlimmste sollte erst noch kommen. Der Vermittler treibt das Baby von Nargis ab, indem er ihr mehrfach in den Bauch tritt. Nargis hat über Monate Blutungen. Als sie sich langsam erholt, wird sie in ein Bordell nach Mumbai verkauft.

Dank Mobiltelefon gerettet
Nach zwei Monaten in der Prostitution gelingt es Nargis von einem Kunden das Mobiltelefon zu ergattern. Damit schafft sie es, ihre Mutter anzurufen, die sofort bei der Polizei in Bangladesch Anzeige erstattet. Der Fall wird umgehend an die Rescue Foundation nach Indien weitergeleitet. Dank des Mobiltelefons, das Nargis heimlich nutzt, gelingt es den Ermittlern der Rescue Foundation die junge Frau zu lokalisieren. Nargis droht aufzufliegen, doch es ist ihre einzige Chance befreit zu werden. Bei einer Razzia werden Nargis sowie fünf weitere Mädchen gerettet. Die folgenden zwei Jahre lebt Nargis im Schutzzentren der Rescue Foundation in Mumbai, lernt Lesen und Schreiben, verdient ihr eigenes Geld durch die Herstellung von Schmuck und schmiedet Pläne für ihre Zukunft. Ihr Traum ist es, als Aktivistin für die Partnerorganisation der Rescue Foundation in Bangladesch zu arbeiten, die sich gegen Menschenhandel engagiert.

Neuanfang in Bangladesch Am 1. Juli 2015 darf Nargis endlich nach Bangladesch zurückkehren. Sie ist glücklich, mit Tochter und Mutter wieder vereint zu sein. Damit die Familie ohne finanzielle Last einen Neuanfang beginnen kann, hat die Rescue Foundation die Kosten für die medizinische Behandlung der Mutter übernommen.

Mit Triveni Acharya und dem Team der Rescue Foundation wird Nargis in Kontakt bleiben. Sie ist fest entschlossen, öffentlich darüber zu berichten, was ihr angetan wurde und ihren sogenannten Ehemann hinter Gitter zu bringen. Dabei ist ihr bewusst, dass dies ein gefährliches Unterfangen ist. Mutig und aus voller Überzeugung sagt sie: „Was mir passiert ist, kann ich nicht mehr ändern, doch ich werde alles dafür tun, andere Mädchen in Bangladesch vor dem Schicksal der Verschleppung zu bewahren.“