Eine neue Familie entsteht

Viele von Menschenhandel und Zwangsprostitution gefährdete Mädchen haben nie erlebt, was es bedeutet in einer intakten Familie aufzuwachsen. Mit einem innovativen Programm setzt sich SOS Bahini, neue Partnerorganisation der BONO-Direkthilfe e.V., gleichzeitig für benachteiligte Mädchen und für die Stärkung von Familien ein.

„Es ist wichtig, dass die Mädchen erleben, was es bedeutet, in einer intakten Familie aufzuwachsen.“

Radha Poudel, Leiterin von SOS Bahini

Pokhara – eine wunderschön gelegene Stadt am Fuße des beeindruckenden Annapurnamassivs circa 200 Kilometer westlich von Kathmandu. Nicht weit vom malerischen Phewa-See arbeitet hier seit 2005 SOS Bahini. SOS steht für »Save our Sisters« (»Rettet unsere Schwestern«), Bahini ist nepalesisch und bedeutet kleine Schwester. Der Name ist Programm: Um 53 »Bahinis«kümmert sich die Organisation inzwischen. Zwei Dinge prägen dabei alle Aktivitäten: Zum einen, so formuliert es Radha Poudel, Gründerin und Leiterin von SOS Bahini, wolle man »klein und schlagfertig«bleiben, zum anderen setze man auf innovative Konzepte, um benachteiligten Mädchen nachhaltig helfen zu können.

Einen Eindruck davon, was diese Grundsätze in der Praxis bedeuten, vermittelt bereits das schon fast unscheinbare Grundstück der Organisation: Zwischen einem kleinen Bürogebäude, einem Wohnhaus und einem Küchengebäude wird allerlei Gemüse angebaut, am Rande des Geländes liegt ein kleiner Stall, in dem zwei Kühe frische Milch geben. Und auch der Kuhdung wird noch verwendet: Zur Erzeugung von Biogas. So laufen die Mädchen nach Schule und Hausaufgaben über das Gelände, beschäftigt mit allen möglichen Aufgaben, die sie zum größten Teil bereits aus den Dörfern, aus denen sie stammen, kennen. Die Gründe, warum sie bei SOS Bahini leben, sind ganz verschieden: Einige haben ihre Eltern verloren oder stammen aus so zerrütteten Verhältnissen, dass sie nicht zu Hause bleiben konnten. Viele von ihnen haben Erfahrungen mit Gewalt und Missbrauch. Und sie alle sind besonders gefährdet, in den Fängen der Sexindustrie zu landen oder Opfer von Menschenhandel und Zwangsprostitution zu werden.

Ihre Zimmer im Wohnhaus der Organisation, die sich vier bis sechs Mädchen teilen, sollen aber kein dauerhaftes Zuhause werden. »Es ist wichtig, dass die Mädchen erleben, was es bedeutet, in einer intakten Familie aufzuwachsen«, erklärt Radha Poudel, »und sie sollen auch lernen, welche Verantwortung damit verbunden ist.«Um dieses Ziel zu erreichen, wurde vor einigen Jahren ein Familienhilfsprogramm ins Leben gerufen. Die Idee ist simpel und überzeugend: SOS Bahini unterstützt alleinstehende Mütter mit Töchtern, wenn diese bereit sind, einige weitere Mädchen aufzunehmen.

Hierzu erhalten die Mütter nach einem ausführlichen und intensiven Auswahlprozess zunächst die Gelegenheit, mit ihren Töchtern bei der Organisation zu wohnen und ihre neuen Familienmitglieder zu treffen. Nach dieser Phase des Kennenlernens, die mehrere Wochen oder auch einige Monate dauern kann und von Sozialarbeitern intensiv begleitet wird, wird ein Haus gemietet und eingerichtet – ein neues Zuhause und eine neue Familie entsteht.

Vier Familien sind es inzwischen, die über ganz Pokhara verstreut im Rahmen dieses Programms unterstützt werden. Die insgesamt 30 Mädchen können zur Schule gehen, und die Mütter müssen sich keine Sorgen mehr machen, wie sie für sich selber und ihre Töchter sorgen können. Die Kosten für Essen, Miete und das Schulgeld übernimmt SOS Bahini. So können sie sich ganz der Erziehung ihrer – alten und neuen – Kinder widmen. Mindestens einmal pro Woche – und wenn einmal nötig auch jeden Tag – kommen Sozialarbeiter vorbei, um alle Probleme des Alltags zu besprechen oder einfach nur mit der ganzen Familie Tee zu trinken.

Es ist keine Frage, dass Radha Poudel Recht hat, wenn sie berichtet, welchen riesigen Unterschied es für die Mädchen bedeutet, in einer Familie groß zu werden. Wenn es noch eines Beweises bedurft hätte, ist es ihr Strahlen, mit dem sie jeden Besucher stolz durch ihr Haus führen und ihre Mutter vorstellen. Bei SOS Bahini lebt unterdessen seit einigen Wochen Krishna Gauchan mit sieben Mädchen zusammen. Sie sind die fünfte Familie des Familienhilfsprogramms, und bald steht der Umzug in ihr neues Zuhause an: Ab 2009 unterstützt die BONO-Direkthilfe e.V. Krishna Gauchan und sieben »Bahinis«.