Ich bin stark!

Behinderte Menschen haben es auf der ganzen Welt ungleich schwerer als andere. In Entwicklungsländern jedoch treibt eine Behinderung die Betroffenen oft in ein isoliertes Leben. Ein Leben, in dem man von anderen gemieden, verachtet und verspottet wird.

„Wir müssen alles tun, um diese Mädchen und Frauen auch weiterhin zu schützen!“

Anuradha Koirala, Gründerin von Maiti Nepal

Chaotisch, dreckig, turbulent und von Armut geprägt. So lässt sich die nepalesische Hauptstadt Kathmandu unter anderem beschreiben. Die rasant anwachsende und sich ausbreitende Stadt platzt aus allen Nähten. Derzeit leben von der 30 Mio. Menschen zählenden Bevölkerung Nepals etwa 3,5 Mio. im Großraum Kathmandu. Ganze Familien ziehen vom Land in die Stadt und hoffen, dass sie hier ein besseres Leben führen können.

Wenn man bei der Kinderorganisation Nepal Matri Griha auf dem Schulareal steht, bemerkt man all das Chaos nicht. Der ganze Stadtlärm, der Gestank und die Alltagssorgen scheinen wie ausgeblendet. Fröhliche Farben, lachende Kinder und eine friedvolle Stimmung prägen den Ort, wo tagtäglich 420 Kinder – etwas 70 von ihnen sind behindert – aus den nahe liegenden Armutsvierteln kommen, um die ansässige Primarschule zu besuchen.

An dieser Stelle haben wir schon oft von der Arbeit und den Erfolgen der Schule von Nepal Matri Griha berichtet. Die gut organisierte Einrichtung absolviert jährlich eine Vielzahl von Kindern. Doch ein weiterer wesentlicher Schwerpunkt der Arbeit ist die Unterhaltung eines Physiotherapiezentrums. Hier werden Kinder mit den unterschiedlichsten Behinderungen versorgt und viele von ihnen auf den Besuch der Schule vorbereitet.

In einem Land, das von so starken ökonomischen Problemen geprägt ist wie Nepal, wird Behinderung zu einem Fluch. Zu der enormen wirtschaftlichen Belastung kommen soziale und kulturelle Stigmatisierung, so dass Familien ihre behinderten Kinder aus Angst vor Diskriminierung oft regelrecht verstecken. Für viele von ihnen ist das Therapiezentrum von Nepal Matri Griha wie ein Segen und auch der einzige Ausweg, da ansonsten keine Hilfe von außen zu erwarten ist. Hier erfahren Kinder mit Behinderung keine Verachtung, sondern man begegnet ihnen mit Respekt, Zuwendung und Geduld. Viel Üben ist die These der Physiotherapeuten, die sich der Kinder annehmen mit dem Ziel, durch tägliche kleine Erfolge zu motivieren.

Die Kinder werden auf vielfältige Weise gefördert, z.B. mit gezielten Massagen, Übungen, Spielen und Hindernisparcours. Je nach Schwere der Behinderung beherrschen manche von ihnen nicht einmal die ganz alltäglichen Dinge des Lebens. Und so lernen sie zunächst selbstständig zu sitzen, zu stehen und zu gehen, üben allein zu essen, sich anziehen, sich zu waschen und Zähne zu putzen. Logopäden unterstützen diese Arbeit zusätzlich und schulen die Sprache der Kinder.

Bei Nepal Matri Griha gehört neben Erziehung und Lernen auch immer Feiern mit zum pädagogischen Konzept. Indem die wichtigsten religiösen und kulturellen Anlässe begangen werden, finden immer wieder Ausgelassenheit und Fröhlichkeit ihren Platz im Alltag und sorgen für Abwechslung. Für die behinderten Kinder ist der 3. Dezember alljährlich sicher der wichtigste Termin. Dies ist der internationale Tag der Menschen mit Behinderung. In die Gestaltung der Feierlichkeiten werden vor allem die behinderten Kinder eingebunden und so haben sie u.a. auf einer Bühne die Möglichkeit zu zeigen, was sie können und für sich erreicht haben. Es wird gesungen, musiziert, getanzt und Theater gespielt, das Resultat von viel Ehrgeiz, starkem Willen und vieler Therapiestunden. Ein Publikum aus Eltern, Verwandten und Schülern spenden immer viel Applaus. Für die meisten behinderten Kinder ist dies die erste Anerkennung, die sie in ihrem Leben erfahren.

Ein Beispiel für die gute Arbeit, die bei Nepal Matri Griha an Behinderten geleistet wird, spiegelt sich in der Geschichte eines Jungen namens Sudip wider. Als Sudip sechs Jahre alt war, kam er zu Nepal Matri Griha ins Therapiezentrum. Der Junge leidet an den Folgen einer Zerebralparese, konnte nicht laufen und seine Hände kaum bewegen. Sein größter Wunsch war, in die Schule zu gehen. So besuchte er neben der täglichen Therapie auch die Schule von Nepal Matri Griha. Obwohl er im Rollstuhl war und beim Schreiben mehr Zeit brauchte als seine Mitschüler, absolvierte er dank seines Enthusiasmus und Wissensdursts die Schule in der Regelzeit und begeisterte immer wieder sämtliche Lehrer. Seine schulischen Leistungen waren so gut, dass Sudip zu den Klassenbesten zählte. Nach dem Besuch der Grundschule konnte er eine weiterführende Schule besuchen und schließlich mit Vollendung des 10. Schuljahrs das SLC (School Leaving Certivicate) erlangen. Mit 88,37 % der zu erreichenden Punkte brach er als Kind mit Behinderung sämtliche Rekorde, so dass sogar die lokale Presse über ihn berichtete.

Für Menschen mit Behinderung ist das Leben weltweit schwer, doch in vielen Ländern haben sie, anders als bei uns, weder Rechte noch Fürsprecher. Unsere Partnerorganisation Nepal Matri Griha macht sich durch ihre Arbeit zu einem Fürsprecher dieser Menschen, eine Arbeit, die wir dank Ihrer Spenden unterstützen können.

Andreas Horz